Das verheerende Erdbeben in Lissabon von 1755

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Wie Lissabon zur modernen Stadt wurde

Wenn man heute durch die eleganten Straßen der Baixa flaniert, Cafés besucht oder den Blick vom Arco da Rua Augusta genießt, ahnt man kaum, dass genau hier einst eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes stattfand. Am 1. November 1755 wurde Lissabon von einem der verheerendsten Erdbeben der europäischen Geschichte erschüttert – gefolgt von einem Tsunami und gewaltigen Bränden. Doch dieses Beben war mehr als eine Naturkatastrophe. Es veränderte die Stadt, das Denken einer ganzen Epoche – und prägte Europa nachhaltig. Als Tourist begegnet man seinen Spuren überall, oft ohne es zu merken. In diesem Beitrag zeige ich dir, warum das Erdbeben von 1755 auch heute noch ein Schlüssel ist, um Lissabon wirklich zu verstehen.

Die Ruinen des Convento do Carmo in Lissabon
Die Ruinen des Klosters Carmo erinnern an die Katastrophe von 1755

Lissabon Erdbeben 1755

Am 1. November 1755, um etwa 9:30 Uhr, erschütterte ein verheerendes Erdbeben die Hauptstadt des portugiesischen Kolonialreiches, Lissabon. Das Beben hatte eine Stärke von etwa 8,5 bis 9,0 auf der Richterskala und dauerte mehrere Minuten. Es löste einen gewaltigen Tsunami aus, der die Küstenregionen Portugals und Teile von Marokko und Spanien traf. Direkt nach dem Beben brachen in Lissabon zahlreiche Brände aus, die viele Gebäude vollständig zerstörten. Bis zu 100.000 Menschen kamen bei der Katastrophe ums Leben, was etwa ein Drittel der Bevölkerung Lissabons ausmachte. Es war ein Schlüsselmoment in der Geschichte der Geophysik und Seismologie.

Wie groß waren die Schäden?

Die Schäden in Lissabon waren enorm und veränderten das Stadtbild für immer. Lissabon war nicht nur eine bedeutende Handelsmetropole des portugiesischen Kolonialreiches, sondern auch ein kulturelles und politisches Zentrum. Der Hafen der Stadt, von zentraler Bedeutung für den Handel mit den Kolonien, wurde durch das Erdbeben und den darauf folgenden Tsunami schwer beschädigt. Viele Schiffe wurden zerstört oder versanken, was den internationalen Handel für lange Zeit lahmlegte.

Zahlreiche Paläste, darunter der Palast der Königsfamilie, sowie wichtige Verwaltungsgebäude stürzten ein. Die Architektur Lissabons, die durch prächtige Barockkirchen und elegante öffentliche Bauten geprägt war, wurde stark in Mitleidenschaft gezogen. Die berühmte Bibliothek der Jesuiten, die wertvolle Schriften und Manuskripte beherbergte, ging in den Flammen und Trümmern unter.

Unzählige Kirchen, darunter die imposante Kirche der Heiligen Maria und das Kloster von São Vicente de Fora, stürzten ein oder wurden schwer beschädigt. Diese Gebäude gehörten zu den geistlichen und kulturellen Wahrzeichen Lissabons und ihre Zerstörung hatte einen tiefen Einfluss auf die religiöse und kulturelle Identität der Stadt.

Darüber hinaus führte die darauf folgende Flutwelle entlang der Küste zu noch mehr Zerstörung und ertränkte ganze Stadtviertel. Das Erdbeben hatte auch Auswirkungen auf die umliegenden Gebirgsausläufer, wodurch zahlreiche weitere Dörfer und Städte in der Region schwer beschädigt wurden.

Der wirtschaftliche und soziale Schaden war verheerend. Die Auswirkungen auf die Bevölkerung waren dramatisch: Tausende wurden obdachlos, und die Stadt brauchte Jahre, um sich von den physischen und wirtschaftlichen Verlusten zu erholen. Das Erdbeben von 1755 gilt als eines der zerstörerischsten Naturereignisse der Geschichte und hatte tiefgreifende Auswirkungen auf das Leben und die Zukunft Lissabons.

Das Erdbeben war auch eines der ersten Beispiele für koordinierte Notfallmaßnahmen in großem Maßstab und wurde zum Symbol einer neuen, pragmatischen Regierungsführung. Berühmt wurde folgender Ausspruch:

„Begraben der Toten und sorgen für die Lebenden.“

Welchen Einfluss hatte das Erdbeben auf den internationalen Glauben?

Das Beben erschütterte nicht nur Lissabon, sondern auch das Weltbild Europas. Das Erdbeben markierte den Anfang einer kritischeren, rationaleren Sicht auf Natur, Religion und Gesellschaft – also der Aufklärung.

Die Frage nach der göttlichen Vorsehung und dem Sinn von solch einer Katastrophe führte zu intensiven philosophischen und theologischen Debatten. Der Umstand, dass die meisten Kirchen zerstört wurden, während das Vergnügungsviertel Alfama verschont blieb, ebenso wie die Tatsache, dass die Katastrophe ein streng katholisches Land, das an der weltweiten Verbreitung des Christentums teilhatte, an einem hohen kirchlichen Feiertag, wie Allerheiligen, traf, löste europaweit tiefgreifende Diskussionen über das sogenannte Theodizeeproblem, also die Frage, wie ein gütiger Gott so etwas zulassen könne, aus.

Gelehrte wie Immanuel Kant, Gotthold Ephraim Lessing oder Voltaire diskutierten darüber, welche Schlüsse aus dem Unglück, das Lissabon widerfahren habe, gezogen werden müssen. Der bekannte Philosoph Voltaire kritisierte in seinem Werk "Candide" die damaligen Weltanschauungen, die Katastrophen als göttliche Strafen interpretierten.

Schriftsteller und Komponisten wie Johann Wolfgang von Goethe, Heinrich von Kleist oder Georg Philipp Telemann verarbeiteten die Tragödie literarisch und musikalisch. Und selbst in der Philosophie des 20. Jahrhunderts, dem Zeitalter der menschengemachten Katastrophen, wurde immer wieder auf das Erdbeben in Lissabon von 1755 verwiesen, etwa in der "Negativen Dialektik" Theodor W. Adornos. Sogar die zeitgenössische Populärkultur greift das Ereignis immer wieder auf, zuletzt die portugiesische Metal-Band Moonspell in ihrem 2017 veröffentlichten Konzeptalbum "1755".

Der Wiederaufbau nach dem Erdbeben

Den Wiederaufbau Lissabons leitete der damalige Premierminister Sebastião de Mello, der spätere Marquês de Pombal. Bereits 1756 war Lissabon wieder frei von Schutt und der Wiederaufbau ging zügig voran. De Mello nutzte dabei die Gelegenheit, um die neue Stadt großzügig und durchdacht zu planen, mit breiten, geraden Straßen und großen Plätzen. Auch wurde damals schon versucht erdbebensicher zu bauen. Als Mahnung an die große Katastrophe ließ man im Zentrum Lissabons das "Convento do Carmo", ein ehemaliges Karmeliter-Kloster, als Ruine stehen. Heute beherbergt das Kloster das "Archäologische Museum Carmo" und im Sommer werden im dachlosen Kirchenschiff Konzerte organisiert, die aufgrund der hervorragenden Akustik in der Ruine einen ausgezeichneten Ruf genießen.

Joseph I. von Portugal und der Marquis von Pombal bauten aber nicht nur das zerstörte Lissabon wieder auf, sondern sie bauten auch den portugiesischen Staat um. Anstelle eines klerikalen Königreiches etablierten sie einen aufgeklärten Absolutismus und brachten dadurch die Aufklärung in Portugal zum Durchbruch.

Was man als Tourist wissen sollte

Nach dem Beben wurde fast die gesamte Unterstadt (Baixa) neu aufgebaut – unter der Leitung des Marquês de Pombal. Die heute so typischen breiten Straßen, rechteckigen Häuserblocks und erdbebensicheren Gebäude in der Baixa verdanken wir diesem Wiederaufbau. Wenn Sie durch die Baixa schlendern, gehen Sie buchstäblich durch ein frühes Beispiel moderner Stadtplanung. Ihr verdanken wir das heutige Lissabon mit seinen Sehenswürdigkeiten.

  • Die Baixa Pombalina (Innenstadt) ist ein direktes Ergebnis des Wiederaufbaus – achten Sie auf die regelmäßigen Straßenzüge und „Anti-Erdbeben-Häuser“ mit flexiblen Holzrahmen.
  • Das Reißbrett-Design war revolutionär – vorher war Lissabon ein Labyrinth mittelalterlicher Gassen.
  • Der Arco da Rua Augusta (Triumphbogen am Tejo) wurde als symbolischer Abschluss des Wiederaufbaus errichtet.
  • Im Museu do Carmo (Ruinenkloster) können Sie sehen, was das Beben zerstörte – die Kirche wurde nie komplett restauriert, als Mahnmal.

Unser Reisetipp: Mit der 48-Stunden-Lisboa-Card sind Öffentliche Verkehrsmittel und viele Eintritte in Museen vergünstigt oder sogar kostenlos.

Fazit: Lissabon verstehen heißt Geschichte verstehen

Das Erdbeben von 1755 ist keine Fußnote, sondern der Grund, warum Lissabon heute so aussieht und sich so anfühlt, wie es ist. Wenn Sie seine Spuren erkennen, verstehen Sie die Stadt auf einer tieferen Ebene – und sie erzählt Ihnen mehr als jeder Reiseführer.

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